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Logo der Christy Brown Schule
Zeichnungen von verschiedenen Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Besonderheiten vor einen dreifarbigen Hintergrund (gelb, orange, rot), daneben das Logo das LVR-Christy-Brown-Schule.

"Kein Kind zurücklassen - Inklusion als Einbahnstraße" - Ein Brief der Elternschaft der LVR Christy-Brown-Schule an die Bezirksregierung Düsseldorf und das Schulamt der Stadt Duisburg

Kein Kind zurücklassen!


“Kein Kind zurücklassen!” - das ist eines der Schlagworte, mit denen das Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen seinen Auftrag definiert. Das ist - wie wir finden - ein gutes und erstrebenswertes Ziel. Wir sind Eltern von behinderten Kindern, die sich bewusst für eine Förderschule als den einzig geeigneten Ort für das Schulleben ihrer Kinder entschieden haben.


“Schulleben, das ist Alltag mit Mathe, Deutsch, Noten und Zeugnisse - aber nicht nur. Schulleben, das heißt auch Ausflüge unternehmen, sich sozial engagieren oder kulturell und sportlich aktiv sein. Gemeinsam lernen - gemeinsam aufwachsen, das ist das Motto einer guten Schule.
Das vielfältige Schulleben der eigenen Kinder bedeutet für die Eltern: Welche Schule ist die richtige Schule für mein Kind? Was bietet die Schule für die Zukunft meiner Kinder? Und wenn es Probleme geben sollte: Wo finde ich die Hilfe und Unterstützung, die mein Kind
braucht?”

Soweit ein Zitat von der Homepage des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Doch was bedeutet Schulleben für uns, für Eltern eines behinderten Kindes und für unsere Kinder? Für uns ist Schulleben der Umgang mit dem individuellen Handicap, das sind Therapien und engmaschigen Absprachen mit Therapeuten und Lehrern, Arztbesuche, Organisation für den Busdienst, Beantragungen verschiedenster notwendiger Dinge wie Schwerbehindertenausweis, Pflegestufe, Hilfsmittelversorgungen. Lernziele sind für uns oft die kleinen, vielleicht banalen Dinge des Alltags - selbstständiges Fortbewegen, selbstständiges Essen, Verbesserung der Sprachfähigkeit oder generell Aufbau von
Kommunikationsmöglichkeiten. Und auch bei diesen Dingen kommen unsere Kinder an ihre Grenzen.

Es gibt an unserer Schule Kinder, die so etwas Wunderbares lernen wie das selbstständige Auspressen einer Orange mit einer elektrischen Saftpresse, das ganze als Gruppenarbeit in kleinen, zeitaufwendigen Schritten. Um am Ende der Stunde steht ein großes Glas frisch gepresster Orangensaft vor diesen unglaublich stolzen und strahlenden
Kindern!

Der bewusst gewählte Lernort der Förderschule bietet unseren besonderen Kindern ein kleines und überschaubares System, in dem sie Wertschätzung erhalten und Selbstbewusstsein aufbauen können. Hier müssen sie sich nicht täglich mit Kindern vergleichen, die in dem oben zitierten Schulalltag mit Mathe, Deutsch, Noten und Zeugnissen viel besser sind als sie.

Die Förderschule bietet unseren Kindern kleine Lerngruppen, ein hohes Maß an Differenzierung und vor allem eine umfassende, auf das einzelne Kind zugeschnittene Berufsvorbereitung. Denn was passiert mit einem behinderten
Kind, das an einer Regelschule keinen Schulabschluss schafft? Die Aufnahme in einer Behinderten-Werkstatt ist an den Besuch einer Förderschule geknüpft. Die Kinder, die an einer Regelschule keinen Abschluss schaffen, werden unweigerlich in die Arbeitslosigkeit abgedrängt. Bereiten wir die Kinder so auf ihr weiteres Leben vor? Warum wenden wir uns nun an Sie? Weil wir Angst haben, dass unsere Kinder
zurückgelassen werden!

Im Fokus von Politik, Medien und verschiedensten gesellschaftlichen, politischen und sozialen Gruppierungen steht immer stärker die Inklusion
und dort schwerpunktmäßig da gemeinsame Lernen. An dieser Stelle der ganz wichtige Hinweis:

Inklusion ist auch in unseren Augen wichtig und muss vorangetrieben werden. Bei
diesen ganzen Entwicklungen gerät jedoch die Förderschule immer mehr in den
Hintergrund. Dies spüren wir mittlerweile in unserem Schulalltag immer stärker.
Inklusion bedeutet für uns derzeit eine Einbahnstraße: Unsere speziell ausgebildeten Pädagogen leisten wichtige und wertvolle Hilfe und Unterstützung in Regelschulen, so dass dort Kinder, denen ein inklusiver Unterricht an einer Regelschule möglich ist, optimal
gefördert werden. Doch genau diese Lehrerstunden fehlen unseren Kindern an der Förderschule.

Im nun anlaufenden Schuljahr 2016/2017 werden wir einen zweiten so genannten kurzen Schultag haben, an dem für die Kinder bereits mittags der Unterricht
endet. Und das, wo doch auch die Förderschule als Ganztagsschule konzipiert ist. Dort, wo Ganztagsschule im Regelschulbereich nicht stattfinden kann, wird eine Nachmittagsbetreuung angeboten. Im Förderschulbereich befinden wir uns diesbezüglich in einer endlosen Wüste. Viele von uns Eltern stellt das vor ein schier unlösbares Problem,
denn eine Betreuung im Mittags- und Nachmittagsbereich ist für ein schwerstbehindertes Kind wenn überhaupt, dann nur sehr schwer und mit teilweise erheblichem finanziellen Aufwand zu organisieren. Also heißt es, den Familienalltag komplett umzustellen, von
beruflichen Verpflichtungen ganz zu schweigen.
Umgekehrt gibt es keinerlei Bestrebungen oder Bereitschaft, dass zum Beispiel der
Englischlehrer der Regelschule einmal in der Woche 1-2 Stunden einige Kinder unserer Förderschule unterrichtet. Wo bleibt da die Inklusion?
Im Rahmen einer Kooperation unserer Schule mit einer benachbarten Regelschule haben Schüler bei den Vorbereitungen und der Durchführung unseres diesjährigen Schulfestes mitgeholfen. Die ca. 15-jährigen Jungen und Mädchen waren zunächst sehr zurückhaltend und anfangs auch ein wenig verstört, da sie den Umgang mit behinderten Kindern nicht gewohnt sind. Doch innerhalb kürzester Zeit hatten sie sich eingewöhnt und haben große
Freude an den Kindern und der gemeinsamen Aufgabe gefunden.

Das ist für uns gelebte
Inklusion! völlig rätselhaft bleibt uns dagegen die diesbezügliche Reaktion des Schulamtes, die sich in erster Linie auf die Frage nach dem Versicherungsschutz der Regelschüler während ihres Einsatzes bei uns bezog. Ist das Inklusion?
Wir appellieren an Sie alle, die Förderschulen nicht aus dem Fokus zu verlieren!

Machen Sie auch die Förderschule zu einem Ort der Inklusion!

Geben Sie den Förderschulen eine Zukunftsperspektive!

Stellen Sie Inklusion auf einen tragfähigen Untergrund!

Schaffen Sie Rahmenbedingungen, unter denen alle Kinder, egal ob sie ein Handicap haben oder wie groß dieses ist, Schule als guten Start in ihr weiteres Leben empfinden!

Lassen Sie unsere Kinder nicht zurück!


Für die Eltern der Christy-Brown-Schule

Melanie Pfefferle und Sylvia Nowak

Klassenpflegschaftsvorsitzende und Stellvertreterin

Brief "Kein Kind zurücklassen - Inklusion als Einbahnstraße" als PDF-Download